Das Wochenende ist zu kurz
Der Abschied von meiner Familie fällt mir jeden Sonntag schwer, die Sorgen fahren täglich mit. Dieses Wochenende besonders, weil ich erst am Samstag Vormittag von Italien nach Hause gekommen bin. Die Zeit sich mit allen in der Familie zu beschäftigen wird für mich in dieser kurzen Zeit besonders schwer.
Meine jüngste Tochter leidet sehr darunter. Richtig entspannen misslingt mir an diesem Wochenende total, weil mir ständig bewusst ist, dass ich am Sonntag Abend schon wieder Abschied nehmen muss. Ich bin dann so angespannt, als ob ich auf Nadeln sitzen würde. Nach einer festen Umarmung meiner Frau und den Kindern starte ich um 22 Uhr mein 40 Tonnen Arbeitsgerät und steuere in Richtung Autobahnauffahrt.Ab jetzt gilt: Die Sorgen fahren täglich mit…
Die Sorgen fahren täglich mit
Um mein Ziel Hamburg – Hafen zu erreichen, werden noch 20 Stunden Fahrzeit vergehen. Was,schlafen? Maximal eine Stunde, denn ich muss noch morgen Montag vor 19 Uhr im Hafen sein.
In der Nacht fahre ich am liebsten, weil da noch wenig Verkehr anzutreffen ist. In den Morgenstunden versuche ich an Ballungszentren schon vorbei zu sein. Staus hab ich lieber hinter mir als vor mir. Meist zwischen zwei und vier Uhr früh geht mich so richtig der Schlaf an. Die Augen drücken und brennen. Ich versuch dann immer mit der Innenbeleuchtung meine Augen zu unterstützen.
Der gefürchtete Sekundenschlaf
Wenn gar nichts mehr geht, ruf ich meine Frau zuhause an. Durch die Telefongespräche bleibe ich meistens fitter. Sekundenschlaf habe ich schon öfters erlebt, unglaublich wie schnell ein Sekundenschlaf passieren kann. Bis auf einige Bankettschäden und zerkratzte Leitplanken ist mir zum Glück nicht mehr passiert. Meiner Frau habe ich davon nichts erzählt. Sie würde sich nur noch mehr Sorgen machen, als sie eh schon hat.
Der Straßenverkehr bietet rund um die Uhr Stresssituationen. Meine Frau macht sich nicht umsonst zu diesen Thema “die Sorgen fahren täglich mit” ihre Gedanken. Von Baustellen, unachtsame Autofahrern, Staus bis hin zu Unfällen ist alles dabei. Am Wochenende versuche ich den in der Arbeitswoche aufgeladenen Stress durch einkaufen, Fernsehen, mit den Kindern Herumtoben und am Abend mit Freunden „was trinken“ gehen, auszugleichen. Ab und zu bleiben auch zärtliche Stunden mit meiner Frau.
Meine Frau macht alles allein
Mittlerweile ist es 8 Uhr morgens und ich habe eine kurze Rücksprache mit meiner Frau gehalten. Meine Tochter hat über Nacht Fieber bekommen und liegt krank im Bett. Die Schule hat sich heute morgen über meinen ältesten Sohn beschwert. Er sei “hyperaktiv” und störe schon zu lange den Unterricht. Meine Frau ist wieder einmal gezwungen, alles selbst in die Hand zu nehmen.
Sie wird, da ich heut Abend nicht zuhause sein kann, mit unserer Tochter alleine zum Arzt fahren und später auch noch das Schulproblem abklären. In diesen Momenten wünsche ich mir, ich könnte für meine Tochter da sein und sie zum Arzt begleiten. Und der Schule möchte ich einmal gerne die gehörige Meinung sagen. Aber ich muss fahren. Inzwischen holt mich der Disponent aus meinen Sorgen und Gedanken heraus.
Ich mag nicht mehr
Die Hamburger Spedition erkundigt sich bereits wo die Ladung bleibt. Der ermutigende Hinweis vom Disponenten lautet: „Beeile dich, das Schiff wartet schon auf deine Ladung“. Als ob ich dafür verantwortlich wäre! Das ärgert mich schon wieder. Jetzt fahre ich schon die ganze Nacht durch, und dann will mir so ein „Bürofuzi“ auch noch eines besseren belehren. Mensch das ärgert mich!
Nächster Parkplatz raus und etwas Schlaf einholen. Nach einer Stunde Pause geht’s für mich in die Endrunde. Noch vier Stunden bis zum Ziel. Allein in den letzten 16 Stunden sind mir viele Gedanken, betreffend meiner Kinder, Frau, Bürofuzi und meiner Zukunft durch den Kopf gegangen.
Diese Sorgen und Gedanken haben meine Konzentration zusätzlich ermüdet und geschwächt. Obwohl es taghell ist, schmerzen und brennen meine Augen vor Müdigkeit. Zum Glück kenne ich schon die richtige Ausfahrt zum Hafen und muß nicht wie das letzte mal suchen. Nach dem Abladen werde ich schnell eine Currywurst essen und danach eine Mütze Schlaf nachholen.
Fazit: Der Beruf als Fernfahrer hat wenig mit Romantik zu tun und ist immer vielen Gefahren ausgesetzt. Es ist ein beinhartes Arbeitsumfeld auf Rädern. Die Familie kommt da irgendwie immer zu kurz. Die ganze Woche ist die Frau mit Kindern auf sich alleine gestellt. Termindruck, körperliche Belastungen, unregelmäßiger Schlaf und ungesundes Essverhalten sind täglicher Begleiter. Dennoch üben viele Männer wie auch Frauen diesen Beruf mit einer gewaltigen Leidenschaft und Stolz aus. Jeder Berufskraftfahrer könnte hier an dieser Stelle sein eigenes Buch schreiben.